Alvin Lucier – „I am sitting in a room“

 


Wählen Sie einen Raum, dessen musikalische Qualitäten Sie zur Entfaltung bringen möchten. Verwenden Sie folgenden Text oder irgendeinen anderen Text beliebiger Länge:

„I am sitting in a room different from the one you are in now.
I am recording the sound of my speaking voice and I am going to play it back into the room again and again until the resonant frequencies of the room reinforce themselves so that any semblance of my speech, with perhaps the exception of rhythm, is destroyed.
What you will hear, then, are the natural resonant frequencies of the room articulated by speech.
I regard this activity not so much as a demonstration of a physical fact, but more as a way to smooth out any irregularities my speech might have.“

Realisieren Sie Versionen mit einem oder mehreren Sprecher/innen verschiedener Sprachen in verschiedenen Räumen.
Realisieren Sie Versionen, in denen für jeden Durchlauf der Standort des Mikrophons im Raum oder in den Räumen verändert wird.
Realisieren Sie Versionen, die live aufgeführt werden können.

Alvin Lucier

 

 

Resonanzen – Das Alvin-Lucier-Festival in Berlin
aus einer Rezension von Reinhard Oehlschlägel

[...] Das trifft zum Beispiel auch auf eines seiner berühmtesten Stücke, auf „I am sitting in a room“ von 1970 zu, mit dem das Festival am gleichen Ort beendet wurde. Der Komponist sitzt im Raum vor einem Mikrophon, spricht einen Text, der, beginnend mit „I am sitting in a room“, das beschreibt, was er da gerade tut. Über das Mikrophon wird der Text mit einem Tonband aufgenommen, das mit Umlenkrollen zu einem zweiten Tonbandgerät geleitet und wieder in den Raum abgespielt wird. Das zweite Gerät ist so weit vom ersten entfernt, daß die Wiedergabe erst beginnt, wenn der Text einmal ganz vorgetragen ist. Die Wiedergabe aber läßt nicht nur den Text noch einmal hören, sondern dazu die Resonanzklänge des Raums. Bei der Wiedergabe über die im Raum verteilten Lautsprecher wird der Text wiederum aufgenommen und so weiter. Und der Raumresonanzanteil wird von Mal zu Mal größer, bis er überwiegt und schließlich den Text in den Hintergrund treten läßt. Zu den akustischen Eigenschaften eines Raums gehören seine Resonanzen und der Nachhall, die beide durch das Stück mehr und mehr wahrnehmbar werden. In diesem Fall bis zu Entstehung einer Folge sehr hoher – wenn man so will: schöner – Obertonklänge.

Die Erscheinungsformen der Wahrnehmung kaum oder unhörbarer Phänomene selbst aber sind nicht immer schön, sie sind wie sie sind, sind vielleicht sogar Nebensache. Wie verschieden Räume klingen können und wie verschieden die Anordnung von Sprecher, Mikrophon und Lautsprechern gehandhabt werden kann, zeigte das gleiche Stück in einer deutschsprachigen Tonbandversion von Ellen Fricke und Adrian Baumeister zu Beginn des dritten Konzerts, die den Glockenraum der Parochialkirche wiederspiegelt. [...]

Reinhard Oehlschlägel, MusikTexte – Zeitschrift für Neue Musik, Heft 79

 

 

 

Text der deutschsprachigen Tonbandversion von Ellen Fricke

 

„Ich sitze in einem Raum, der nicht der Raum ist, in dem Sie gerade sind.
Direkt über Ihnen im Glockenraum nehme ich meine Sprechstimme auf und spiele sie ab, nehme sie auf und spiele sie ab, immer wieder – bis die Resonanzschwingungen des Raumes sich selbst verstärken, so daß jede Ähnlichkeit mit dem Sprechen, außer vielleicht mit dem Rhythmus selbst, ausgelöscht wird.
Was Sie dann noch hören, sind die natürlichen Resonanzschwingungen des Raumes, gegliedert durch das Sprechen.
Diese Handlung ist für mich weniger die Demonstration eines physikalischen Sachverhaltes, als vielmehr eine Weise, jede Art von Sinn, die mein Sprechen noch aufweist, auszulöschen.“

Transposition: Ellen Fricke, Mai 1999